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limai, 11/09/2009 04:27 PM


Schreiende Schatten

Ich fand dieses alte, zerknitterte Pergament, tief vergraben unter wahren Türmen anderer seiner Art. Es enthält die Niederschrift eines Geständnisses am Totenbett. Eine Erzählung die er wohl nicht mehr in seinem Gewissen verschließen konnte und jemandem erzählte dem er entweder vertraute, oder dem es gleich war. Ein Erzählung voller Leid und Reue. Der Name des Beichtenden ist nicht bekannt, da große Teile des Dokuments verschmutzt und beschädigt sind. Auch ist nicht bekannt, wer seine Wort in Schrift fasste um sie der Nachwelt zu erhalten.
Ich gebe sie euch zu lesen, urteilt selbst über ihren Inhalt und die Taten des verzweifelten Mannes der sie mit seinen letzten Atemzügen diktierte.

„Ich erinnere mich... ja, ich erinnere mich. Es ist nicht sonderlich schwer mir diese Stunden und Momente wieder ins Gedächtnis zu rufen. Sogar jetzt, da mein Same langsam verdorrt und ich zu bald meinen gefallenen Kameraden an Jenas Seite stoßen werde. Sie haben sich förmlich in meinen Geist eingebrannt, für immer und die Geräusche und Anblicke dieser Nacht sind für immer in mein Hirn gekratzt, wie Krallenstriemen in die Borke eines Baumes.

Ich war ein junges Mitglied der Stadtwache. Grad ein paar Wochen zuvor hatte ich mich ihr angeschlossen und hoffte darauf irgendwann einmal in die Palastwache befördert zu werden und vielleicht von dort aus einmal in die Leibgarde des Königs. Wie konnte ich auch ahnen, dass meine Beförderung viel eher erfolgen würde als ich es je zu träumen gewagt hätte. Denn ich war einer der Letzten die Übrig waren im Zwielicht der Urwurzeln, um überhaupt befördert zu werden. Doch weiß ich noch Heute nicht ob ich jemals stolz darauf sein kann, denn das was ich in jener Nacht tat ist keine Beförderung wert.
Aber, das ist nicht das Thema dieses Gespräches, hm? Und es ist auch keine Zeit mehr dafür. Lasst mich meine Geschichte erzählen und dann in Frieden sterben.
Du möchtest etwas über die letzte Nacht des alten Königreiches hören, richtig? Die „Nacht der Klauen“, oder auch „Nacht der schreienden Schatten“, wie sie später von manchem, ach so poetisch, genannt wurde. Ja, eine Nacht der Klauen war es mit Sicherheit. Und auch eine der schreienden Schatten, ich war einer von ihnen.

Am vorigen Tag war unsere Arme in Richtung Trykoth ausgezogen, um einige gebiete „zurück zu erobern“, die unserem Reich eine stetige Wasserversorgung über die kommenden Jahre garantieren würden. Als die letzten Soldaten der großen Armee zwischen den Bäumen des Waldes verschwanden, sehnte ich mich danach mit ihnen zu gehen. Um Ruhm und Ehre zu erlangen, große Kämpfe zu bestreiten und „dem Volk heldenhaft zu dienen“, um meinen Namen eingehen zu lassen in die Analen unseres Volkes. Wer hätte gedacht das die kommende Nacht mir mehr „heldenhafte“ Dinge bescheren würde als ich in meinem Leben gebraucht hätte.

Ein paar meiner Kameraden und ich waren auf dem Weg zum Wach-Haus zum Anfang unserer Schicht von Sonnenuntergang bis zum Morgengrauen. Es war warm und die Straßen waren angefüllt mit dem normalen Betrieb der letzten Stunden, bevor die Marketender ihre Stände schlossen. Wir alle spekulierten darüber, wie lange es wohl dauern würde bis die Armee zurück kam und was die Fyros wohl davon abhielt ihrer Pflicht nachzukommen und die Tryker wie vereinbart zu beschützen.
„Vielleicht haben die Wasserratten sie ja in letzter Zeit auf dem trockenen sitzen lassen?“
„Nein, die haben schon Wasser geliefert, aber die Fyros haben die Nase voll davon ständig ihre eignen Latrinen „beschützen“ zu müssen.“
Wir alle lachten darüber, bis auf Girio, einen älteren Wachmann der unsere Gruppe anführte.
„Ich hörte sie kämpfen. Manche sprechen von einem neuen großen Feuer. Andere von einer unbekannten Armee, die das Imperium von Süden her angreift. Wieder andere reden von Monstern...“ seine tiefe, ernste stimme verklang.
„Monster?!“ fragte ich lachend.
„Diese Monster werden mit Sicherheit vor den Fyros davon laufen, denn kein Monster das etwas auf sich hält würde etwas angreifen, das hässlicher ist als es selbst.“
Darüber lacht nun selbst Girio und einen Moment lang war ich stolz darauf. Kindisch, ich weiß...
Wir gingen weiter unseres Weges zum Wachhaus und zunächst bemerkten wir die Veränderung nicht, die sich über die Stadt legte.
Dann ließ sich einer unserer Kameraden langsam zurückfallen, er ging langsamer und legte den Kopf schief, so als ob er auf etwas lauschen würde. Wir hielten inne in unserem Lauf und warteten auf ihn.
„He, was ist los?“ fragte ich.
„Hört ihr das nicht?“ antwortete er.

Nun lauschten wir alle angestrengt in die Nacht hinein.
Ein seltsames Summen erfüllte die Nacht und von oben war das knacken und bersten von Ästen zu hören. Als ob sich etwas großes durch das Geäst bewegen würde.
Noch eh wir uns groß wundern konnten übertönte ein Schrei alle anderen Geräusche.
Von hoch über uns erklang er und wir alle blickten natürlich hinauf.
Zunächst war ich nicht sicher was ich da sah. Auf einer der Ast-Brücken, die sich von Heimbaum zu Heimbaum spannten, rannten Homins von der Mitte der Brücke weg in Richtung der Durchgänge. Ein dunkler Schatten bewegte sich dort an dieser Stelle, unnatürlich schnell, seltsam verschwommen im Zwielicht der Baumkronen und von unserem Standpunkt aus.
Dann fiel etwas über den Handlauf der Brücke, direkt auf uns herab.
Zuerst dachte ich es wäre ein Ast, oder ein Teil der Brückenverzierungen, aber dann traf etwas nasses meine Wange, das Ding landete mit einem deutlichen Schlag genau vor unseren Füßen und wir erkannten was es war.
Wie vom Donner gerührt starrten wir auf den abgetrennten Arm der vor uns im Gras lag. Voller Schrecken sah ich das seine Finger sich noch immer in krampfhaften Zuckungen bewegten. Meine eigenen Finger wurden rot wo sie durch mein Gesicht wischten und mit stetig wachsendem Entsetzten hörten wir nun weitere Schreie von beinah überall her.
In der ganzen Stadt erhoben sich nun Stimmen voller Angst und Schrecken und als ich erneut nach Oben blickte sah ich etwas, das mir beinah das Blut in den Adern gerinnen lies. Der seltsame Schatten den wir auf der Brücke gesehen hatte, löste sich nun von dieser und flog mit der Leichtigkeit eines Raubvogels durch die Luft auf eine benachbarte Brücke zu auf der sich noch Homins befanden. Seine riesigen, schmalen Flügen summend und vibrierend, eine Spur aus herabfallendem Blut nach sich ziehend. Das Blut kam von der zuckenden Form eines Mannes, der auf den grausamen Stachel der Bestie gespießt war, den ihre vorderen Extremitäten bildeten. Das gigantische Insekt war schwarz und einer Heuschrecke nicht unähnlich und Heute würde man es wohl einen Kizoar nennen. Es schüttelte sich heftig und der Körper des Mannes rutschte schlaff von seinem Stachel und krachend in ein Gebüsch am Wegesrand.
Dieser Lärm erlöste uns aus unserer Erstarrung. Wie ein Mann begannen wir in Richtung des Wachhauses zu rennen. Um uns herum begannen Verwirrung und Panik die Abendlichen Fußgänger zu ergreifen. Schnell rannte ein jeder irgendwo hin, oder suchte nach jemandem. Panische Schreie erfüllten die Straßen und überall in der Stadt schien der Wald sich zu bewegen, voll von ungesehenen, schrecklichen Schatten. Die Glocken des Wachhauses begann schrill zu läuten und riefen jede verfügbare Hand zu den Waffen. Als wir ankamen waren viele unserer Kameraden bereits bewaffnet und bereit der Bedrohung gegenüber zu treten, was immer diese auch sein möge. Noch immer hatten die Meisten keine Ahnung was auf uns zu kam und bei Jena, ich wünschte sie wir hätten es nie erfahren.
Über unsere Verwirrung hinweg rief uns unser Hauptmann dazu auf Ruhe zu bewahren und unsere Pflicht zu tun. Wir ergriffen unsere Kara Krop Piken und rannten wieder hinaus in die Straßen.
Meine Gruppe versuchte die Ränder der Stadt zu erreichen, doch bevor wir auch nur den halben Weg hinter uns gebracht hatten, kamen uns Homins entgegen gerannt. Viele schrien und riefen panisch, das etwas im Wald sei und von dort aus Freunde und Fremde gleichermaßen entführte. Andere berichteten von Monstern die plötzlich aus dem Wald auftauchten einige Homins töteten und wieder verschwanden. Wieder andere hatten fliegende Bestien gesehen, die versuchten in die oberen Stockwerke von Heimbäumen einzudringen. Wir rannten weiter und mit schmerzenden Lungen erreichten wir schließlich den Stadtrand unseres Viertels.
Seltsamerweise war alles Ruhig, bis auf des seltsame Summen, das noch immer die Luft erfüllte und von Minute zu Minute lauter zu werden schien. Es zerrte an den Nerven, wie ein schlechter Viola Spieler. Kein Homin war mehr zu sehen, die kleineren Gebäude waren verlassen und die Heimbäume verriegelt.

Vorsichtig näherten wir uns dem Waldrand, unsere Piken zum zur Verteidigung bereit. Niemals zuvor hatte unser Heimatlicher Wald so düster und angsteinflößend auf mich gewirkt. Ich sah eine Bewegung im Unterholz. Etwas huschte blitzschnell durch das dichte Gebüsch und zögerlich drangen wir darauf ein, die Waffen schützend vor uns.
Ein übels, schrilles Zischen ertönte und plötzlich brach etwas aus dem Unterholz hervor und sprang uns an.
Es war schnell wie eine Sternschnuppe, sein dunkelgrüner Panzer schimmerte im Licht der Straßenlampen hinter uns. Es rauschte mit einer Wildheit auf uns zu die uns beinahe überraschte, seine 4 Beine klapperten ein Staccato über den Boden, die Vorderbeine hoch erhoben. Den flachen Kopf tief geduckt wie zu einem Schild, der den Torso beschützte, war es in etwas halb so groß wie ein erwachsener Mann und fing an mit seinen Vorderbeinen nach uns zu hacken. Zusammen hielten wir Neun es auf Abstand mit unseren Piken, um seinem wahnsinnigen fuchteln zu entgehen und es brach kreischend unter unseren Stichen zusammen.
Als es nur mehr zuckend vor uns lag versammelten wir uns um den Kadaver herum.
„Was in Jenas Namen ist das?“
„Soll mich der Drache holen, wenn ich´s wüsste.“
„Es ist eine Spinne, ihr seht doch die Beine.“
„Spinnen haben Acht Beine, das hier hat nur Sechs. Es ist irgendeine Art Käfer.“
„N´verdammt großer Käfer.“
„Bleibt wachsam Leute! Wir haben keine Ahnung ob dort draußen noch mehr von denen sind.“
„Richtig, wir bleiben besser wachsam. Zumindest sind sie leicht zu töten...“

In diesem Augenblick erhöhte sich die Lautstärke des Summens, das uns die ganze Zeit begleitet hatte um ein vielfaches und ein Schrei der das Blut in den Adern gefrieren ließ ertönte aus der Dunkelheit des Waldes vor uns. Weitere erklangen, etwas weiter zu unsere Linken und rechten. Überall vor uns ertönte tiefes knurren und schrilles kreischen, schnatternde Geräusche rauschten aus dem Blätterwerk um die Stadt herum und von überall her hörten wir das Geräusch brechender Äste. Riesige Dinge bewegten sich dort im Unterholz und durch das Blätterdach der Stadt. Hinter uns erklangen erneut Schreie und die Wachhausglocke schlug ein verzweifeltes Signal gegen den Lärm.

Dann im spärlichen Licht der Lampen hinter uns, erwachte die Finsternis vor uns zum Leben. Ich kann mich nur noch an kurze Eindrücke von riesigen, schlanken Beinen und Körpern erinnern. Die sich von Bäumen und aus dem Unterholz lösten, wo sie perfekt getarnt gelauert hatten. Mein Geist hat diese Dinge gnädig verdrängt, das Leichentuch des Schocks über diese ersten Eindrücke des kommenden Schreckens gelegt.
Voller Schrecken, drehten wir uns um und rannten.
I gebe es offen zu und ich schäme mich noch Heute zutiefst. Doch wir alle rannten in dieser Nacht. Niemand rannte nicht, in dieser Nacht. Wir hatten keine Chance. Viele arme Seelen blieben zurück und stellten sich den Bestien, doch wurden sie alle in Stücke gerissen. Doch ebensoviele von uns liefen davon so schnell sie ihre Füße trugen und blickten nicht zurück. Fort von ihnen, doch meist in die wartenden Klauen anderer Kitin.

Natürlich trugen sie damals noch nicht diesen Namen. Niemand hatte sich damit beschäftigt den verschiedenen Bestien Namen zu geben. Wie denn auch. Schau nicht zu überrascht!
Denkst du jemand sieht ein drei Meter großes Insekt auf sich zu rennen und denkt bei sich:
„Oh, das nenne ich ab sofort einen Kipuka.“, und überlebt um diesen Namen aufzuschreiben?!
Ha, dumme Jugend. Denkst du wirklich alles ist und wäre schon immer so gewesen wie es jetzt ist? Bah!
Sie hatten keine Namen. Sie waren einfach da. Namenlose Schrecken, die alles und jeden töteten der in ihre Fänge fiel. Männer, Frauen, Kinder. Sie bewegten sich durch die Stadt wie Schnitter die die Ernte einholen. Ihre Ernte waren Terror und Blut. Zu tausenden strömten sie aus dem Wald. Stürzten aus dem Blätterdach auf Brücken herab, kletterten an Heimbäumen hoch. Sie rissen einfach die Borke ihrer höheren, jüngeren Teile ab als wäre sie aus Papier und krochen hinein, um an das weiche Leben darunter zu gelangen. Sie flogen durch die Luft, hoben Homins aus der Menge, spießten sie einfach auf und flogen mit ihnen weiter, zerrissen sie in der Luft und ließen ihre Teile herab regnen auf die fliehenden, panischen Massen.

Ich erinnere mich noch viel zu deutlich an meine erste Begegnung mit dem was ihr Heute eine Kipesta nennt. Es schoss aus dem Himmel herab, auf eine Gruppe von Homins die unter der großen Wurzel eines alten Heimbaumes Schutz gesucht hatten. Zunächst versuchte die Bestie an sie heran zu kommen, doch als sie sich für zu groß dafür erwies und die Homins zu wehrhaft, blies sie einfach den Inhalt ihres seltsamen Sacks zwischen den Vorderbeinen, in das Loch.
Innerhalb weniger Augenblicke war der enge Raum unter der Wurzel angefüllt mit Flammen.
Ich war zu weit entfernt und zu geschockt von diesem Anblick, dieser Perversion entgegen jeder Natur, als das ich irgendetwas für die Opfer hätte tun können. Doch die Schreie derer die in diese Falle verbrannten verfolgen mich noch Heute in meinen Träumen. Ich hoffe ich bin bald davon erlöst.
Ich sah die schwer gepanzerten Formen der sogenannten Kipuka, von hohen Ästen fallen, wie Tannenzapfen und mitten unter den Homins einschlagen wie Felsbrocken, glückliche Homins wurden direkt von ihrem Gewicht erschlagen. Unglückliche wurden in Stücke gerissen, wenn die Käfer aus den Blutverschmierten Kratern im Boden auftauchten um weiteres Unheil zu verbreiten.
Ich bin nicht sicher ob es ein Segen ist, das ich jene Nacht und all die folgenden überlebte. - Jena weiß, es ist eher eine Strafe für meine Feigheit.

Ich rannte einfach nur, ließ meine Pike fallen und rannte so schnell meine Beine mich trugen. Homins und Insekten ausweichend so gut ich konnte, floh ich Blindlinks in den Wald. Ich rannte bis meine Füße mich nicht mehr trugen und bis ich ohnmächtig auf dem Waldboden zusammenbrach.
Später fand ich eine kleine Gruppe anderer Flüchtlinge und wir schafften es bis zu einem Karavan Lager, von dem sie gehört hatten.

Ich bin nun hier, am Ende meines Lebens.
Dies ist meine schändliche Geschichte und ich werde nicht mehr sagen.
Lasst mich nun schlafen.

gez. Ridio Sillia, fahrender Sänger.
(Dank an Acridiel für diesen Text)

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